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EnBW-ArealStadtteil

Über ein Jahr Leerständ am Stöckach

Es sollte ein Vorzeigeprojekt für die EnBW, die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg – The Länd, dessen Bewohner alles können außer Hochdeutsch – werden. Tja, verhandeln und bauen können sie anscheinend nicht. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 sollte ein neues Quartier etwa 500 m von der U-Bahnhaltestelle Stöckach entstehen, mit neuen Wohnungen, öffentlichen Plätzen zum Austausch, einem integrierten Energiekonzept und auch Wohnraum für Menschen, die nicht viel Geld haben [1]. Es gab ein Bürgerbeteiligungsverfahren und einen Blog mit dem klingenden Titel: Der Neue Stöckach – Ein gutes Stück Stuttgart [2]. Das „gute Stück Stuttgart“ hat sich im letzten Jahr zu einem politischen Schandfleck entwickelt. 

Euer Prophet ist Profit! 

Letztes Jahr beschloss die EnBW kurzerhand, mit ihrem Eigentum zu machen, was sie will. In diesem Fall: Gar nichts und auf einen Verkauf mit höchstmöglichem Gewinn spekulieren. Planungsstopp, Stopp der Bürgerbeteiligung und am wichtigsten auch bis heute: Ein absoluter Verlust an jedweder Transparenz. Dies führt seit einem Jahr zu einer untragbaren Situation in Zeiten, in denen sich ein Neubau durchschnittlich erst ab 22 €/m2 rechnet und arme Menschen aus den inneren Bereichen großer Städte verdrängt werden. Und in einer Zeit, in der die EnBW AG in 2023 einen Gewinn von etwa 6,4 Mrd. €1 vor Zinsen und Steuern gemacht hat, davon wurden 2,8 Mrd. € an Aktionäre ausgeschüttet.

Es ist also offensichtlich, dass das Unternehmen (und das bedeutet neben einigen kleineren Anteilseigner*innen letztendlich zu 46,75 % das Land Baden-Württemberg und zu weiteren 46,75 % der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke) keinerlei Interesse daran hat, ihrem Auftrag der öffentlichen Daseinsfürsorge nachzukommen und der Gesellschaft und insbesondere den Menschen etwas zurückzugeben. Der Profit steht auch hier wieder weit über dem Menschen.

Was wissen wir über die Verhandlungen aktuell?

Die EnBW befindet sich momentan mit der Stadt Stuttgart in Verhandlungen über das Areal mit zwei möglichen Ausgängen. Option 1: Die Stadt kauft das Gelände und schreibt dann eine Bebauung aus oder Option 2: Die EnBW bebaut es. Option 2 scheint nun seit März nicht zu passieren, daher geht es in den Verhandlungen ausschließlich um den Kaufpreis. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass das Gelände momentan kein normales Bauland ist, sondern lediglich für energiewirtschaftliche Tätigkeit genutzt werden kann. Die profitorientierten EnBW-Verhandler:innen2 wollen aber mehr Geld, und zwar den aktuellen Wert plus den Planungsgewinn, den das Areal nach einer möglichen Umwandlung in Bauland für Wohnungen zusätzlich bekommen würde. Wie viel genau die EnBW verlangt und wie viel die Stadt bereit ist zu zahlen, weiß niemand außer die Verhandler*innen und ihre Bosse selbst. Bei diversen Veranstaltungen und in Gesprächen wurde in Nebensätzen eine Vorstellung von etwa 500 Mio. € für das Areal inkl. Bebauung geäußert. Wenn der gesamte Stadtteil Stuttgart-Ost das Gelände kaufen und bebauen würde, würde dies also rechnerisch etwa 10.000 € pro Einwohner bedeuten. Der tatsächliche aktuelle Wert dürfte wesentlich darunter liegen, ein zweistelliger Millionenbetrag.

Deutsche Wohnen & Co. enteignen in Stuttgart

Es gibt ein kommunalpolitisches Instrument, das Eigentümer dazu zwingt, ihre Flächen an die Stadt zu verkaufen, wenn nachweislich eine Notlage besteht. Diese Notlage dürfte für den Mietmarkt in Stuttgart wohl seit einigen Jahren erfüllt sein. Gemäß §165 Bau-Gesetzbuch ermöglichen städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen, Eigentümer zu der Entwicklung eines bestimmten Gebietes zu zwingen [3]. Dies gilt unter einer der Voraussetzungen in Absatz 3, Satz 2: 

  1. Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten, 
  1. zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen oder zur 
  1. Wiedernutzung brachliegender Flächen.

Im vorliegenden Fall dürften alle drei Kriterien erfüllt sein. Warum wurde der EnBW bisher also noch nicht ihr Spekulationsobjekt entzogen? Es gab bereits zwei Abstimmungen im Stadtrat, die die Ausweisung dieses Areals als städtebauliche Entwicklungsmaßnahme beantragt haben. SPD und die FrAKTION3 stimmten dafür, CDU, FDP, AfD und die Grünen dagegen. Gerade bei den Grünen steht dies in einem doppelmoralischen Widerspruch zu ihrem Kommunalwahlprogramm. Darin heißt es unter dem Punkt 2.1 Stadtgestaltung, „Plätze sind nachbarschaftliche Treffpunkte“ und in einem Unterpunkt „Plätze wollen wir den Menschen zurückgeben.“ [4]. Wenn die EnBW das Areal am Stöckach entwickelt, würde dies nicht passieren – das Areal wäre privat, es würde KEINERLEI öffentlicher Raum geschaffen werden. Wir fordern von den Grünen also: Gebt eure Blockade auf!

Was gerade passiert

Am 23.04. wird es im Ausschuss Stadtentwicklung und Technik ab 8:30 Uhr eine Sitzung geben, in der unter TOP 7 auch das Stöckach-Areal diskutiert wird [5]. Diese Sitzung möchten wir dafür nutzen, über den aktuellen Missstand aufzuklären und auch dafür die Grünen dazu zu bewegen, ihre Blockadehaltung aufzugeben.

Wir als Stadtteilclub Ostend haben in den letzten Monaten im öffentlichen Raum durch das Stadtteilmanifest, aber auch durch Kundgebungen, Infotische, Plakate und anderen Aktivitäten sowie auf diversen Veranstaltungen, zuletzt mit „Reclaim-the-Hood“ gemeinsam mit Kulturschaffenden aus der Region, auf die Missstände aufmerksam gemacht [6] und werden es auch weiterhin tun. Das Areal gehört dem Stadtteil, den Menschen, die hier leben, sich begegnen und sich kreativ ausdrücken möchten. Wir brauchen dringend Räume, lasst Sie uns gemeinsam erkämpfen!

Interessiert? Dann komm am 1. Mai Fest im Stadtteilzentrum Gasparitsch bei unserem Stand vorbei oder am Samstag, den 4.5. um 19 Uhr zum nächsten Treffen des Stadtteilclubs ins Gasparitsch.

Alle Informationen, die wir haben, haben wir aus persönlichen Gesprächen mit Beteiligten. 

Anmerkungen

  1. Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBITDA):  6.365 Mio. €; Auf die Aktionäre entfallend (Adjusted Konzernüberschuss): 2.780 Mio. € ↩︎
  2. wir wissen nicht, wer genau für die EnBW verhandelt, vermuten zwar, dass es nur Männer sind (Thomas Fuhrmann, der für die Stadt Stuttgart verhandelt ist ein Mann, Andreas Hofer, Hans Peter Künkele und Sacha Rudolf von der IBA27 sind Männer, an dieser PM haben mindestens zwei Männer mitgeschrieben ;)), nutzen aber wegen dieser Unsicherheit eine generische Geschlechtsform ↩︎
  3. Zur FrAKtION gehören die Parteien Linke, SÖS, Piraten und die Tierschutzpartei ↩︎

Quellen

[1] https://www.iba27.de/projekt/der-neue-stoeckach/
[2] https://www.enbw.com/stoeckach/
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/__165.html
[4] https://gruene-stuttgart.de/wahlen/kommunalwahl/, S. 10
[5] https://www.stuttgart.de/organigramm/gremium/ausschuss-fuer-stadtentwicklung-und-technik-sta-und-betriebsausschuss-des-eigenbetriebs-stadtentwaesserung-stuttgart-ses-.php Hier sind leider keine Terminankündigungen, Protokolle und Tagesordnungen verfügbar
[6] https://www.gasparitsch.org/events/reclaim-the-hood-hip-hop-konzerte/

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